Bewegende Gedenkfeier erinnert an Gräuel in Bergen-Belsen

Niedersachsens Ministerpräsident Weil spricht in Bergen-Belsen. Michael Matthey/dpa
Niedersachsens Ministerpräsident Weil spricht in Bergen-Belsen. Michael Matthey/dpa

Bergen (dpa/lni) –

80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen ist bei einer bewegenden Gedenkveranstaltung an die Opfer der Gräueltaten erinnert worden. Im Beisein von mehr als 50 Zeitzeugen mahnte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, dass der Blick auf die Geschichte zu verblassen drohe und ein großer Teil der jungen Generation in Deutschland völlig unwissend auf das Grauen der Schoah blicke. «Wir erleben tagtäglich Relativierungen dieses unvorstellbaren Verbrechens; auch in deutschen Parlamenten.»

Doch Resignation komme nicht infrage. Erinnern bedeute, sich der Frage zu stellen, wie der Mensch dem Menschen so etwas antun konnte. «Und ganz einfach immer und immer zu erzählen, was passierte», sagte Schuster. 

Überlebende ein «Triumph über die Unmenschlichkeit»

Zu der Gedenkveranstaltung in der Lüneburger Heide waren mehr als 50 Holocaust-Überlebende, die als Kinder befreit worden waren, angereist. Einige von ihnen hielten Gedenkworte. «Für mich ist das Erinnern an Bergen-Belsen und die Schoah, den Holocaust, ein zutiefst persönliches», sagte Debbie Morag, die im DP-Camp Bergen-Belsen geboren wurde und heute in Israel lebt. Sie ist die Tochter zweier Überlebender des Holocaust.

«Mein Vater hatte die Zahlen 126715 auf seinem Arm, nicht nur ein Zeichen der Brutalität, sondern des Durchhaltens. Meine Mutter trug ihre Erinnerungen schweigend mit sich, und doch füllten sie unser Heim. Ich sage oft, dass ich den Holocaust mit der Muttermilch eingesogen habe – so tief ist er mit meiner Person verbunden», sagte Debbie Morag. 

Der israelische Botschafter Ron Prosor richtete sich in seiner Rede direkt an die Überlebenden: «Mit Ihrer Stärke, mit Ihrem Mut und mit Ihrem Leben sind Sie ein Triumph über die Unmenschlichkeit. Ihnen, den Überlebenden, sind wir verpflichtet. Und den Ermordeten.»

Prosor verwies darauf, dass es «selbst heute, wo wir hier in Bergen-Belsen stehen», es noch immer Menschen gebe, die leugnen, dass der Holocaust jemals stattgefunden hat. «An einem Ort, an dem die Menschlichkeit an ihre äußersten Grenzen geführt wurde. Und an dem dennoch die Hoffnung nicht starb.»

Denn in Bergen-Belsen sei nur wenige Tage nach der Befreiung ein Shabbat-Gottesdienst abgehalten worden, in dem die Überlebenden das Lied «Hatikvah» – die Hoffnung – gesungen hätten. «Diese Melodie der Hoffnung wurde zu Israels Nationalhymne. Sie steht für den unerschütterlichen Willen des jüdischen Volkes zu leben», sagte Prosor.

Weils Appell: «Nie wieder ist jetzt»

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hielt einen flammenden Appell für ein «Nie wieder ist jetzt». Nie wieder sollten die Würde und das Leben von Menschen in Deutschland mit Füßen getreten werden, nie wieder Menschenrechte missachtet werden, nie wieder Willkür anstelle des Rechts treten können, sagte Weil. «Das ist die Lehre aus der Ermordung so vieler Millionen Menschen, das ist der Auftrag aus dem Gedenken und der Erinnerung an diese Geschehnisse.»

Kritik an Auswahl der Redner

Vor der Gedenkfeier war Protest gegen die Auswahl der Redner laut geworden. Dies griff Weil in seiner Rede auf. Die Veranstalter – die Landesregierung, die Niedersächsische Gedenkstättenstiftung und der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen – hätten sich bewusst dafür entschieden, dass im Mittelpunkt der Gedenkfeier die Worte von Überlebenden stehen sollten.

Man habe davon Abstand genommen, auch Opferverbände um ihr Wort zu bitten, sagte Weil. Dies hatte zur scharfen Kritik der Organisation der Bergen-Belsen-Überlebenden in Israel geführt. Während Weils Rede stand Arie Olewski, der Vorsitzende der Organisation der Bergen-Belsen-Überlebenden in Israel, auf und verließ mit einer Israel-Fahne in der Hand die Veranstaltung. Zu Protesten an der Gedenkstätte kam es jedoch nicht.

Unter den Gästen waren auch der frühere Bundespräsident Christian Wulff und Großbritanniens Vize-Premierministerin Angela Rayner.

Zehntausende Menschen starben in Bergen-Belsen 

Britische Truppen fanden am 15. April 1945 Tausende unbestattete Tote und Zehntausende todkranke Menschen auf dem Areal im Landkreis Celle vor. Die grauenvollen Bilder der Verbrechen der Nationalsozialisten gingen um die Welt. Etwa 53.000 Menschen wurden befreit, doch für viele kam die Hilfe zu spät.

Auch die für ihr Tagebuch bekannte Anne Frank liegt in einem der Massengräber. Insgesamt starben im Lager und unmittelbar nach der Befreiung rund 52.000 Menschen, hinzu kommen fast 20.000 Tote im angrenzenden Kriegsgefangenenlager.

© dpa-infocom, dpa:250427-930-469683/4

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