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Die meisten Kinder in Schleswig-Holstein haben sich am Freitag bei bestem Wetter über den Beginn der Sommerferien gefreut. Für die Kinder der Klasse 3b der Franz-Claudius-Grundschule in Bad Segeberg war es hingegen auch ein trauriger letzter Schultag. Sie haben erfahren, dass ihre Klasse nach den Sommerferien auf die anderen beiden Klassen aufgeteilt wird. Ein Mangel an Lehrkräften sei der Grund, weshalb aus ehemals drei nun zwei große dritte Klassen mit je 29 Kindern entstehen müssten – und das alles während der Corona-Pandemie und nach einem Jahr voller Herausforderungen durch beispielsweise Homeschooling.

Ein fester Klassenraum als Ort der Geborgenheit, eine feste Klassenlehrkraft und damit wichtige Bezugsperson im Leben der Kinder, langjährige Freundinnen und Freunde, die sich zumindest vor der Pandemie noch tagtäglich gesehen haben. All das wird bei den Drittklässler:innen der Franz-Claudius-Schule nun aufgebrochen und ihr Gefühl der Sicherheit damit zumindest auf eine harte Probe gestellt.

Traurige Kinder und besorgte Eltern

Mutter Jessica Harck berichtet über den Schock, den der Elternbrief ausgelöst hat. Foto: Gloria Saggau

Aber nicht nur die Kinder sind traurig – auch die Eltern der Drittklässler:innen haben uns am Freitag ihre Sorgen mitgeteilt. „Die Nachricht war ein Schock“, verrät Mutter Jessica Harck. Besonders ärgere sie, dass der Lehrermangel schon seit vielen Jahren bekannt sei. Schon einmal mussten Klassen an dieser Grundschule zusammengelegt werden. „Und nun werden 29 Kinder wegen Lehrermangels zukünftig in einen Raum gesteckt. Corona wird ja weitergehen nach den Sommerferien und die Kinder sind nicht geimpft und nicht geschützt.“

Vater Michael Röpcke findet, dass Deutschland sich im Bereich Bildung kaputtspart. Foto: Gloria Saggau

Hamburg hat Obergrenzen in Grundschulklassen – Schleswig-Holstein nicht

Auch Michael Röpcke, Vater eines Drittklässlers, fragt sich, wie es nach den Sommerferien weitergehen soll und zieht den Vergleich zum Hamburger Schulsystem. Dort gibt es Obergrenzen: An Grundschulen mit einer sozial belasteten Schülerschaft (Sozialindex 1 und 2) dürfen höchstens 19 Kinder in einer Klasse sein. An Grundschulen mit günstigeren sozialen Bedingungen liegt die Obergrenze bei 23 Kindern pro Klasse. Schleswig-Holstein hingegen hat eine Minimalgröße von 22 Kindern. „Minimal 22, das heißt, es könnten theoretisch auch 40 Kinder in einer Klasse sein“, zeigt sich Röpcke besorgt. „Das sind einfach Zustände, die erleichtern das Lernen nicht, sondern erschweren es massiv.“

Mutter Daniela Neuhoff ist besorgt, ob der verlorene Lernstoff aus dem Corona-Jahr nachgeholt werden kann. Foto: Gloria Saggau

Wie soll der Lernrückstand aus dem Corona-Jahr aufgeholt werden?

Mutter Daniela Neuhoff berichtete uns zudem von den Schwierigkeiten, die das Corona-Jahr mit sich brachte. Sie fragt sich ob und wie der dadurch bedingte Lernrückstand aufgeholt werden kann. „Ist die Zeit dafür überhaupt da? Denn, ich nehme mal an, dass der Beginn der vierten Klasse auch dazu genutzt wird, dass die Kinder sich erst mal kennenlernen.“ Gleiches gelte auch für die Lehrkräfte. „Die müssen auch erst mal gucken, ‚Wer sind die neuen Schüler eigentlich?‘, ‚Wo hole ich die ab, wo stehen die eigentlich?'“, so Neuhoff weiter. „Und es ist das letzte Schuljahr vor der weiterführenden Schule, wo man sich eh immer die Frage stellt, ‚Wurde alles ausreichend abgehandelt?'“

Schulleitung: Keine leichte Entscheidung

Wie in vielen Schulen in Schleswig-Holstein fehlen in Bad Segeberg ausgebildete Lehrkräfte. Das Personal wird nach den Sommerferien aber auch für die neuen Erstklässler:innen gebraucht. Für sie ist Schule schließlich etwas völlig Neues – die Größeren kennen es schon. „Die Kinder in Klasse drei und vier können schon ganz viel, haben also schon profitiert von den Jahren, in denen sie in kleinen Klassen unterrichtet worden sind“, sagt Michaela Busch, stellvertretende Schulleiterin der Franz-Claudius-Schule. Die Entscheidung sei allen Beteiligten nicht leicht gefallen.

Laut Bildungsministerium sei sie aber eine richtige gewesen. Aktuell liege der Orientierungswert für die Klassengröße in Schleswig-Holstein zwischen 22 und 29 Schülerinnen bzw. Schülern. „Die Schülerinnen und Schüler sind ja weiter in der Betreuung der Lehrkräfte an dieser Schule, sodass ich davon ausgehe, dass sie weiter gut begleitet werden“, zeigt sich Alexander Kraft, Leiter der Abteilung für Schulentwicklung und -aufsicht im Bildungsministerium Schleswig-Holstein, zuversichtlich. „Entscheidend ist für das kommende Schuljahr, dass die Schulen hinschauen bei den Schülerinnen und Schülern, ob Lernrückstände entstanden sind.“

Land will Beruf attraktiver machen

Das Ziel des Landes Schleswig-Holstein ist, langfristig mehr Lehrkräfte zu gewinnen und den Beruf attraktiver zu machen. Den betroffenen Familien der Bad Segeberger Grundschule hilft das momentan herzlich wenig. Trotz Pandemie und einem Jahr voller Homeschooling muss es weitergehen – dann mit 29 statt mit 19 Kindern in einem Klassenraum. Sie können nur hoffen, dass über die Sommerferien noch ein Wunder geschieht, wollen aber auch selbst aktiv werden und beim Bildungsministerium um ein Gespräch bitten.

Gloria Saggau

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