«Gerechtigkeit für Lorenz» – Debatte um tödliche Schüsse

Kritik an der Polizei: Banner im Stadion des FC Bayern  Daniel Löb/dpa
Kritik an der Polizei: Banner im Stadion des FC Bayern Daniel Löb/dpa

Oldenburg (dpa) –

Auch im Stadion des FC Bayern München bewegte der gewaltsame Tod eines jungen schwarzen Mannes in Oldenburg durch Polizeischüsse die Menschen. Mehr als eine Woche nach der Tat in der Oldenburger Fußgängerzone sind noch immer viele Fragen offen und wecken bestimmte Umstände Unverständnis. Eine Initiative von Menschen mit Migrationshintergrund sieht in den Schüssen auf den 21 Jahre alten Lorenz den Beleg eines systemimmanenten Rassismus in der Polizei. Kritik gibt es zudem wegen fehlender Aufnahmen von den Bodycams der Einsatzkräfte. 

«Rassistische Mörderbullen ermitteln gegen rassistische Mörderbullen» und «Gerechtigkeit für Lorenz» war während des Bundesliga-Spiels des deutschen Fußball-Rekordmeisters gegen Mainz auf Bannern im Stadion zu lesen. 

Kritiker: Das Fehlen von Bodycam-Aufnahmen ist ein Skandal

Ein Polizist hatte in der Nacht zu Ostersonntag fünfmal in Richtung des 21-Jährigen geschossen. Laut Obduktion wurde Lorenz an der Hüfte, am Oberkörper und am Kopf verletzt. Drei Schüsse trafen ihn von hinten, ein vierter Schuss soll ihn am Oberschenkel gestreift haben. Der 27 Jahre alte Schütze wurde vorläufig suspendiert. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg führt gegen den Beamten ein Verfahren wegen Totschlags. Beides ist in solchen Fällen üblich. Das Mobiltelefon des betroffenen Polizisten wird geprüft, der polizeiliche Funkverkehr aus der Nacht ausgewertet. Am Sonntag gab es zunächst keine neuen Erkenntnisse der Behörden.

Aufnahmen der Bodycams der Polizisten, die bei dem Einsatz dabei waren, stehen nicht zur Verfügung, weil die Geräte nicht eingeschaltet gewesen seien, hieß es von den Ermittlern. «Nach meiner Einschätzung hätte die Kamera in diesem Fall eingeschaltet sein müssen», sagte der Anwalt von Lorenz‘ Mutter, Thomas Feltes, der «HAZ». Eine laufende Kamera hätte dem Juristen zufolge einen präventiven Effekt haben können.

«Müssen System umfassend in den Blick nehmen»

Dass Polizisten zwar Bodycams trugen, aber nicht eingeschaltet hatten, bezeichnete Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg bei RTL/ntv als «Skandal». In der Rückschau seien schon so viele Dinge passiert, für welche die Bodycam hätte Aufklärung bringen können. 

Nach Angaben der Ermittler hatte der Deutsche zuvor vor einer Diskothek Reizgas versprüht und mehrere Menschen leicht verletzt. Dann flüchtete er. Als Streifenpolizisten ihn hätten stellen wollen, sei er bedrohlich auf die Beamten zugegangen und habe Reizgas in ihre Richtung gesprüht.

«Ich frage mich tatsächlich, wie viele Leute eigentlich noch sterben müssen, dass man nicht nur von Einzelfällen spricht, sondern dass wir wirklich mal das System umfassend in den Blick nehmen, um solche Dinge zu verhindern», sagte Tahir Della aus dem Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) der Deutschen Presse-Agentur.

Opfer zu Täter gemacht

Er halte es für unfassbar, dass nach wie vor eine solche Tat geschehen könne, sagte Della. Immer noch würden nach solchen tödlichen Polizeieinsätzen von Medien und der Polizei nach Rechtfertigungen gesucht. «Dann werden die Opfer von Polizeigewalt zu Tätern stigmatisiert», kritisierte Della. Es sei falsch, nur dann von rassistischen Handlungen zu sprechen, wenn man jemanden eine rassistische Haltung nachweisen könne oder ein Mensch eine rassistische Motivation offen zugebe. 

Tausende fordern bei Demo Aufklärung

Zu einer Kundgebung und Demonstration in der Oldenburger Innenstadt waren am Freitag Tausende gekommen. Es waren Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Hautfarbe. Sie fragten sich: Warum musste dieser junge Mann sterben?

Viele hielten Schilder hoch. «Er wurde ermordet. Kein Vergeben. Kein Vergessen.» Andere formulierten mit Fragezeichen: «Tödliche Gewalt? Oder tödlicher Rassismus?» Aus Sicht von ISD-Vorstand Della ist es nun notwendig, dass ein Verhalten wie das des Schützen in Oldenburg für die Polizeibeamten wirkliche Konsequenzen habe. Es sei nicht damit getan, sie in den Innendienst zu versetzen oder sie für ein paar Wochen vom Dienst zu suspendieren. «Es muss wirklich eine handfeste Bestrafung und eine handfeste Verfolgung von solchen Fällen geben», sagte Della. 

Nach der Demonstration sprach die Polizei von einem weitgehend störungsfreien Verlauf. Polizeivizepräsident Arne Schmidt sagte: «Der Tod von Lorenz A. bewegt viele Menschen zutiefst – auch innerhalb der Polizei.»

© dpa-infocom, dpa:250427-930-470676/1

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