Hildesheim (dpa/lni) –
Ein 35-Jähriger hat für die Tötung des Betreibers einer Geflüchteten-Unterkunft in Sarstedt eine lange Haftstrafe erhalten. Das Landgericht Hildesheim verurteilte den aus dem Irak stammenden Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren.
Die Gewalttat Anfang September 2024 hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Sie ereignete sich nur wenige Tage nach dem Messerangriff mit drei Toten in Solingen in NRW. Der 61 Jahre alte Betreiber der Sarstedter Unterkunft wurde vormittags in der Nähe des Bahnhofs getötet – nur wenige Meter entfernt von seinem Hotel, das er zu einer Flüchtlings-Einrichtung umfunktioniert hatte. Er starb nach dem Messerstich ins Herz am Tatort in der Kleinstadt.
Am Abend des Angriffs wurde der mutmaßliche Täter – ein Bewohner der Unterkunft – gefasst. Er ist ein abgelehnter Asylbewerber und war vor seiner Verhaftung ausreisepflichtig. Seit Anfang Februar musste sich der Mann wegen Totschlags vor Gericht verantworten.
In seiner rund 45-minütigen Urteilsbegründung erläuterte der Vorsitzende Richter Rainer de Lippe, warum das Gericht die Tat nicht als Mord eingestuft hat. Der 35-Jährige habe zwar den Betreiber der Unterkunft im Gespräch mit anderen Bewohnern beleidigt und sogar davon gesprochen, ihn umbringen zu wollen. Es gebe aber keine Anhaltspunkte für eine geplante Tat.
Der Angeklagte habe damit rechnen können, dass der Stich tödlich ist, sagte der Vorsitzende Richter: «Wenn ich jemandem eine Messerklinge in die Brust steche, denke ich nicht, das wird schon gutgehen.» Die Klinge des Küchenmessers war neun Zentimeter lang.
Von einer Notwehrsituation könne auch keine Rede sein, dies belegten die Beobachtungen eines unabhängigen Zeugen, der den verbalen Streit der beiden Männer beobachtete. Demnach schubste der Jüngere den Älteren zunächst, als der Ältere weiter geredet habe, folgte der Stich.
Im Prozess hatte der Angeklagte den Messerangriff eingeräumt, aber eine Tötungsabsicht bestritten. «Er hat sich auf Notwehr berufen, das war gelogen, das war für die Familie der zweite Stich ins Herz», sagte der Rechtsanwalt der Hinterbliebenen, Matthias Waldraff. Zudem habe der Angeklagte in den Stunden nach der Tat den Getöteten und weitere Familienangehörige in Chats herabgewürdigt. «Für die Familie war der Prozess eine extreme Belastung», sagte der Nebenklage-Anwalt.
Am ersten Verhandlungstag hatte Waldraff die Lebensleistung des getöteten Hotelbetreibers gewürdigt. Der im afghanischen Kabul geborene Deutsche sei ein erfolgreicher und sozial engagierter Geschäftsmann gewesen und habe großes Verständnis für die Bewohner seiner Flüchtlings-Unterkunft gezeigt.
Die Nebenklage forderte in ihrem Plädoyer eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall. Die Staatsanwaltschaft plädierte für zwölf Jahre Haft. Dagegen beantragte die Verteidigung lediglich eine Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten, und zwar auch nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Die Anwältin des 35-Jährigen, Katja Noe, kündigte an, dass die Verteidigung das Urteil anfechten werde.
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